TANZ »Tanz. Ein Schauspiel & Schwarz, ohne Zucker« – Boris Michael Gruhl
– Dresdner Neueste Nachrichten
Erst sehen, dann reden, vielleicht, oder auch
nicht
Die Tanzcompany Görlitz feiert Premiere mit „Tanz. Ein
Schauspiel.“ & „Schwarz, ohne Zucker“
Gerade ist die Fusion der
Theater Görlitz und Zittau vollzogen, was rein praktisch bereits Tatsache war
ist festgeschrieben. In Görlitz mit der Neuen Lausitzer Philharmonie sind
Musiktheater und Tanz beheimatet, in Zittau, wo das Theater gerade umfassend
saniert wurde, das Schauspiel. Alles unter einer Generalintendanz.
Von
Görlitz aus werden zudem die Bereiche Tanz und Musiktheater in Bautzen
abgedeckt. Aber Ruhe ist längst nicht eingekehrt. Schon ziehen dunkle Wolken auf
am kulturpoltischen Himmel der Region, beim Zittauer Schauspielensemble soll
eingespart werden.
In dieser Situation ist es fast ein kulturpolitisches
Wunder, dass gerade jene Sparte, die ansonsten recht schnell zum Opfer von
Sparmaßnahmen wird, das Tanztheater, nicht nur erhalten blieb, sondern eine zwar
kleine, aber bedeutsame Aufwertung erhielt. Mit Beginn der Saison übernahmen die
beiden Tänzer und Choreografen Dan Peleg und Marko E. Weigert die Leitung. Beide
haben als Gründer der Berliner wee dance company in zehn Jahren freier
Tanzarbeit internationales Ansehen errungen. Beide sind auch in Görlitz
weiterhin aktive Tänzer, so dass derzeit 12 Tänzerinnen und Tänzer zur Verfügung
stehen, was die Möglichkeiten erweitert aber auch die Zuverlässigkeit.
Doppelbesetzungen sind möglich, bei Krankheitsfällen muss keine Vorstellung
abgesagt werden.
Nach glücklichem Start für das Team mit der Neufassung
ihrer Choreografie „Schmetterlingsdefekt“ feierte am Sonnabend in Görlitz ein
weiterer Abend der Tanzkompanie Premiere. „Tanz.Ein Schauspiel“ & „Schwarz,
ohne Zucker“. Der Titel klingt für eine Tanzproduktion etwas ungewöhnlich,
erschließt sich aber im Verlauf des zweiteiligen Abends als weiterer Versuch,
das „Wunder“ des Erhalts der Tanzsparte als Chance nutzen und nicht mit
gefälligen Unterhaltungsproduktionen den Weg des geringsten Widerstandes zu
gehen, sondern das Publikum zu fordern und so zu fördern.
Das geschieht
im ersten Teil etwas zu absichtsvoll. Zu theoretisch geraten die Dialoge der
beiden Darsteller Tilla Kratochwil und Stephan Thiel, die nach einer
Tanzvorstellung darüber diskutieren, ob Tanz Theater sei oder nicht, ob es der
Worte bedarf, ob die Bewegung allein genug, ob sie überhaupt etwas erzählt, ob
es um Geschichten oder Assoziationen geht, um Empfinden oder Verstehen. Die
Darsteller „schauspielern“ zu sehr. Es fällt schwer ihnen abzunehmen, dass sie
ein Anliegen haben. Dass die Choreografen das Bedürfnis haben, auf ihr Publikum
zuzugehen und dabei unterschiedliche Wege beschreiten ist verständlich. Eine
solche Methode wäre vielleicht besser in einer Matinee mit Werksstattcharakter
platziert und die Zuschauer könnten mit diskutieren.
Bei den Tänzern
Simone Rabea Döring, Steffi Sembner, Maria Zimmermann und Sebastian Fiedor ist
das anders. Sie vermitteln auch ohne Worte einen berührenden Eindruck, wenn das
gekonnt sparsam verwendete Bewegungsmaterial der Choreografie sich durch die
unterschiedlichen Haltungen der Tänzer verändert. Sie vermitteln beredet genug
wie sensibel, zerbrechlich diese Kunst ist, wie wichtig es vor allem ist, dass
der Tanz, modern oder nicht, die Persönlichkeit des Tänzers nicht verstellt,
dass der Zuschauer etwas sieht, was zwar natürlich, aber nicht alltäglich ist:
Ein Mensch ist von etwas so bewegt, dass er sich bewegen muss und sei es unter
Aufbietung der Ausschöpfung aller Möglichkeiten seines Körpers, was sogar zu
Grenzüberschreitungen führen kann. Unbedingt zu erwähnen sind hier die
poetischen Animationsfilme zu Texten von Hans Christian Andersen, Michael Ende
und Kai Grehn, von Benjamin Hohnheiser und Judith Holzer nach schwarz-weißen
Zeichnungen von Johannes Faulhaber. Gerade Grehns Text über den Weg des
Salamanders und die Bedeutung der Steine, welche durch die verzaubernde Eleganz
des Lebewesens berührt wurden, sagt viel aus über die Ambivalenz der
Tanzkunst.
Natürlich stellen sich im zweiten Teil des Abends „Schwarz,
ohne Zucker“, der ja schon im Titel darauf hinweist, dass es hier um den puren
Tanz geht, etliche Fragen. Der Worte aber bedarf es bei dermaßen intensivem
Geschehen wie in dieser Choreografie erst recht nicht. Kein Wort, nur Tanz und
Klang und Licht und Stille, das Atmen der Tänzer, Nora Hageneier, Laura Keil,
Virginie Nass, Bill Macqueen, Dan Pelleg, Nico van Harlekin und Marko E. Weigert
auf der total leer geräumten Bühne. Ein Ausnahmezustand. Für eine Stunde wird
der Alltag unterbrochen, obwohl, oder gerade weil es in diesem Tanz auch um sehr
alltägliche Erfahrungen geht. Es ist ein hartes Stück Tanz. „Schwarz, ohne
Zucker“.
Da kommt Energie von der Szene. Die Kraft der Gruppe, dennoch
jeder für sich. Allein, in Duetten, in unterschiedlichen Varianten bei denen
sich Menschen finden oder verfehlen in atmosphärisch dichtem Lichtdesign
zwischen Tag und Nacht, Wachen und Träumen. Dazu eine Musikcollage, die Klänge
und Wortfetzen mischt, auch Musik geordneter Tänze am Hofe des Sonnenkönigs und
der immer wieder, wie ein Hilferuf, der knapp aufklingende erste Ton der
Sopranstimme aus Franz Schuberts Lied „Nacht und Träume“.
Am Ende wird
das ganze Lied eingespielt. Ein hochemotionaler Ausgenblick. Es kommt aus großer
Ferne, aus einer anderen Welt, und hat doch die Sehnsuchtstöne, wie sie die
Tänzerinnen und Tänzer mit ihren Körpern zu singen vermögen. Ganz langsam und
zart, dann furios und rücksichtslos, vor allem sich selbst gegenüber. Sie heben
einander hoch, sie lassen sich tragen, sie lassen sich fallen, sie erfahren, was
es heißt zu stürzen, zu fallen, den Anderen fallen zu lassen und selber fallen
gelassen zu werden, ganz weit unten zu sein, am Boden, von der Erdenschwere
überwältigt. Nico van Harlekin liefert sich gerade dieser Situation in vollem
Maße aus.
Natürlich bleiben Fragen. Vor allem eine, die wir der Romantik
und Heinrich Heine verdanken: „Ich weiß nicht, was soll es bedeuten, dass ich so
traurig bin?“. So schwarz ist der Abend. Nicht ein Zuckerkristall will ihn
versüßen. Und so hell ist der Abend in der Erinnerung.
Boris Michael
Gruhl
Dresdner Neueste
Nachrichten
24.01.2012