Mittwoch,
3. Mai 2006
BÜHNE DRESDEN

Rhythmische Zeitware

In Michael Endes Kinderroman "Momo" schwatzen graue Zigarren rauchende graue Männer den Leuten ihre Zeit ab, um sie angeblich in einer Zeitsparkasse zu deponieren. Falls man in der hektischen Realwelt doch etwas Zeit übrig hat, sollte man sie lieber den Tänzern der Berliner wee dance company zumindest für die Dauer ihrer Produktion "There's time" schenken.

Die fünf Tänzer mit grauen Hosenanzügen und Melone sind keine gemeinen Zeitdiebe, sie spielen nur in rhythmischen tänzerischen Bildern mit dem Begriff "Zeit", messen sie mit einer Sanduhr, bieten sie sogar feil. In einer nicht auf technischen Perfektionismus achtenden Videosequenz verkauft die nur auf der Leinwand präsente Tänzerin (Kathinka Lühr-Sonneborn) Zeitware aus ihrem Bauchladen. Eine Lupe wird als Zeitlupe deklariert, ein Zeitraffer per Knopfdruck ermöglicht, Freizeiten, Auszeiten - alles dabei. Clou ist der Service, übrig gebliebene Zeit entgegenzunehmen. Später gibt es eine mit dem Publikum geteilte Brotmahlzeit. Wieder per Videoeinspiel hält der israelische Tänzer und Company-Mitbegründer Dan Pelleg einen Vortrag über die Zeit als physikalisch-philosophischer Begriff.

Und noch eine "Botschaft" voller Wortspielerei und mit leichter surrealistischer Metaphorik wird über die Leinwand gesendet. Der zweite Company-Mitbegründer Marko Weigert hält in einem Café einem stummen Gegenüber eine Standpauke - einem großen Luftballon mit Melone, was entfernt an das berühmte Bild "The Son of Man" von Magritte erinnert. Der Luftikus hört sich die Vorwürfe über seine Aufgeblasenheit stumm und geduldig an und fliegt am Ende wortwörtlich in die Luft.

Die mit schlichten Mitteln per Video präsentierten Wort- und Metapherspiele sind witzig, auch wenn etwas zu vordergründig, und amüsieren das Publikum. Die choreografierten Sequenzen aus Solo- oder Gruppenbildern zeugen durchaus von den tänzerischen Qualitäten der 1999 gegründeten "kleinen" Truppe (wee = winzig klein). Die Bruchstücke, geprägt von mal fließenden, mal schnell "geschnittenen" Bewegung, bekommen Antrieb durch die klopfenden und kratzenden Klänge der elektronischen Musik, die immer schneller wird. Wie der beschleunigten Gruppendynamik entgegenwirkend lassen sich die Tänzer auch Zeit für "Nahaufnahmen" wie das Sandbad, das eine Tänzerin mit ritueller Langsamkeit nimmt.

Dann war die Zeit um. Und das Publikum schien die Stunde mit der wee dance company für eine lohnende Zeitinvestition zu halten.

Bistra Klunker

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Mit dem Tanzwochen-Beitrag der Carot-Dancers werden gleich zwei Jubiläen gewürdigt: neben dem der Wahlheimat der Compagnie der des Traumdeuters Sigmund Freud.

Während Roman Chovanec als Bilderklärer (zum Glück für die Besucherstatistik) eine ganze Weile geduldig warten muss, bis sich das Publikum in die Sitze geschachtelt hat, verharrt das hier selbstverständlich lebensgroße Bildnis nach Herrn Liotrad (beinahe) regungslos. Auch dann noch, als der Erklärer (vielleicht auch nur Wächter) mit ihm in in einen gestischen Dialog tritt. Der junge, eher etwas biedere Mann sucht angesichts der grazilen Erscheinung nach eigenen Vorzügen, die das Idol aus seinem Rahmen locken könnten. Was es dann eher etwas unvermittelt tut, um sich sehr direkt mit dem alltagsgrauen Menschen einzulassen. Doch vor der erotischen Studie schreckt die Choreographie von Nicole Meier dann doch zurück.- es bleibt bei einer eher platonischen Entblätterung in Traumsequenzen, deren vage Dramaturgie sich ohne Freudsche Hilfe kaum entschlüsseln lässt. Denn die musikgeschichtlichen Zitate von Barock bis Pop können's ja nicht sein, sie erzeugen zwar hübsche Stilbrüche, da Valeria Dosenko sich stets fast klassisch bewegt, haben aber eigentlich keinen Witz. Alles das wirkt nur nett getanzt, vollzieht sich ohne innere Spannung oder zwingende Idee; die vielleicht einzige wird bis zum Schluss aufgespart, endlich tritt Er zu Ihr in den Bild-Raum, doch siehe da, der hat eine Hintertür, durch die sich die beiden den Blicken entziehen - so entpuppt sich der der Traum als schlicht erzähltes Märchen.

Tomas Petzold


letzte Aktualisierung von 25.04.2006