Tonne bietet einen Abend wie Adrenalin

Reutlingen.  Ein Abend wie Adrenalin: Zum elften Mal veranstaltete das Tonne-Theater das Internationale Tanztheater. In der zweimal ausverkauften Planie 22 führten drei Ensembles fünf Stücke auf.

Der Abend beginnt mit einer Demonstration. Beide Vorstellungen sind komplett ausverkauft. Tonne-Intendant Enrico Urbanek muss Interessenten sogar wieder wegschicken. Gibt es ein schlagenderes Argument, um die Notwendigkeit einer größeren Spielstätte für das Tonne-Theater einzufordern?

Die Besucher, die eine Eintrittskarte ergattern konnten, erleben denn auch fünf Choreografien, die sich zu höchst abwechslungsreichen zwei Stunden zusammenfügen. Die "wee dance company" aus Berlin eröffnet den Tanzreigen mit dem Stück "Grasshopper", ein Panoptikum menschlicher Befindlichkeiten. Die vier Anzugträger Nora Hageneier, Dan Pelleg, Mayra Wallraff und Marko E. Weigert bewegen sich mit Schirmen auf zwei grünen Grasmatten und drücken dabei die Sehnsucht aus, die Welt in einem besseren Zustand zu erleben.

Wie zufällig hält einer bei Sonnenschein einen Regenschirm, während andere weiter marschieren. Dann Kollisionen, Tänzer stoßen zusammen, bringen sich gegenseitig zu Fall, balancieren den anderen am Körper, bewegen sich roboterhaft oder finden in einer kurzen Tanzsequenz zueinander. Die Bewegungen erscheinen trotz ihrer Dynamik wie durch einen Filter verfremdet. Fast glaubt man, beides gleichzeitig sehen zu können: Stille und Bewegung, Virtualität und Realität, die im ständigen Kontrast zueinander stehen. Am Ende sitzen die vier Alltagsgestressten picknickend im Gras, doch die Naturidylle ist umgeben von einer Schnellstraße.

Die Uraufführung "Einfach so" mit dem Italiener Gaetano Posterino und der Tonne-Schauspielerin Galina Freund schildert das schmerzhafte Miteinander einer Liebesbeziehung. Da wird gekämpft, geschrien, gestritten - bis sich alles entlädt im furiosen Finale voller Sprünge und Hebungen, live begleitet vom Cellisten Thomas Lambeck, der Bachs Cello-Suite Nr. 4 im Hintergrund spielt. Hier traten die Körpersprache und der schauspielerische Aspekt mehr in den Vordergrund, die gegenseitige Bedingtheit von Mann und Frau, von Mann und Cello werden virtuos in Beziehung gesetzt. Ein aberwitziges Auf und Nieder mit schwindelerregenden Verrenkungen. Beeindruckend auch das folgende Duo "Und wenn sie nicht gestorben sind" mit Dan Pelleg und Nora Hageneier von der "wee dance company". Im Mittelpunkt steht die in "Slow Motion" ausgekostete Nähe. In akrobatischer Weise umwinden sich die beiden Tänzer, verbinden sich zu einer Bewegungseinheit, schweben in Selbstvergessenheit. Zuweilen scheint die Schwerkraft geradezu aufgehoben.

Nach der Pause tanzen die Israelis Meytal Blanaru und Yaron Shamir zu dessen Choreografie "Frozen". Beide stehen sie mit nacktem Oberkörper dem Publikum abgewandt und lassen zur pulsierenden Musik von Alva Nato ihre Rückenmuskeln tanzen. Doch schon bald gehen die rein körperlichen Energieströme in rasend schnelle Bewegungen über. Ein vorüberjagendes Kaleidoskop ständig wechselnder Formationen und Konstellationen entsteht, ein rhythmisches Kräftemessen zwischen Mann und Frau. Zum Abschluss zeigt sich die "wee dance company" noch einmal von ihrer humoristischen Seite. Dan Pelleg und Marko E. Weigert tanzen auf, vor, hinter und unter zwei Riesenkartons und verwandeln die Choreografie "Box" in eine schräge Slapsticknummer.

Das Publikum erlebt einen wilden, tänzerischen Ideenschwarm, emotional und überschäumend präsentiert wie bei einem guten Popkonzert. Die Quittung des Publikums? Ein kaum enden wollender Jubel.