Görlitzer Tanzstück findet idealen Ort in der Synagoge
Im Tanzstück "Jawoll!" des Gerhart-Hauptmann-Theaters geht es um Macht, Verführbarkeit und Gewalt als Irrweg aus der Ohnmacht.
Die Inszenierung "Jawoll!" des Theaters thematisiert Reiz und Gefahr autoritärer Systeme. Die Ausweichspielstätte konnte dafür nicht passender gewählt werden.
Ines Eifler
04.02.2023
[QUELLE]
Görlitz. Grölend, mit erhobenen Fäusten, zieht die Menge durchs Land. Sie folgt dem Führer, lässt sich verführen, zu Schlägereien aufwiegeln.
Die Görlitzer Tänzer tragen lederglänzende Anzüge, die an Uniformen erinnern, die Gesten sind martialisch, das Miteinander ist brutal. Teilweise glaubt man Köpfe auf den harten Steinboden der Synagoge krachen zu hören, obwohl ein metallisch schimmernder Tanzteppich darauf liegt (Ausstattung: Britta Bremer). Und dann erzählen die jungen Frauen und Männer in poetischen tänzerischen Bildern davon, wie schön, wie erfüllend das Leben sein kann, wenn man die große Liebe findet.
Doch Gewalt prägt die Familie, die der Protagonist als Kind eines autoritären Vaters und einer fügsamen Mutter erlebt. Und Gewalt zieht sich durch sein Leben als etwas, dem es zu entkommen gilt und das doch unausweichlich wiederkehrt, obwohl die Liebe auf Erlösung hoffen lässt.
Unterdrückung mündet in Gewalt
Im Tanzstück "Jawoll!" des Gerhart-Hauptmann-Theaters im Kulturforum Görlitzer Synagoge kommt es zu martialischen Aufmärschen.
Die Choreografen Dan Pelleg und Marko E. Weigert haben das neue Tanzstück "Jawoll!", das am Sonnabend seine umjubelte Premiere feierte, mit ihren Tänzern nach Theorien von Erich Fromm und Theodor W. Adorno entwickelt. Fromm suchte in den 1940ern eine Antwort auf die Frage, warum totalitäre Bewegungen wie Faschismus oder Bolschewismus auf viele anziehend wirken.
Die beiden großen Philosophen des 20. Jahrhunderts glaubten an einen Menschentypus, der aufgrund eigener Unterdrückungserfahrungen eine Persönlichkeit entwickelt, die Stärke bewundert, sich nach Hierarchien und Konformität sehnt, Gewalt verherrlicht und Individualität verachtet.
Im Görlitzer Kulturforum Synagoge, der Ausweichspielstätte für "Jawoll!" nach dem Wasserschaden auf der großen Bühne des Görlitzer Theaters, bekommt man eine Ahnung vom Zusammenhang zwischen Unterdrückung, Verführung, Erniedrigung und Gewalt: Wenn Nirvanas "Smells Like Teen Spirit" Lust auf jugendliche Rebellion und Auflehnung in der Gruppe macht.
Wenn man sieht, mit welch manipulativer Kraft die Tänzerin Elise de Heer in der Rolle eines Führers Menschen unterwirft, quält und zugleich an sich bindet. Und wenn man in den beiden kraftvollen Körpern hoch oben auf dem Synagogenmarmor nicht nur menschliche Schönheit, sondern auch die erschreckende Ähnlichkeit mit Bildern erkennt, die Leni Riefenstahl fotografierte und Arno Breker in Bronze goss.
Warnung der Vergangenheit in geschichtsträchtigem Raum
Die ehemalige Synagoge ist der ideale Ort für diese gelungene Inszenierung voller Anspielungen, Schlüsselmotive und Warnungen für die Zukunft aus der Geschichte mit Premiere kurz nach dem Holocaust-Gedenktag.
Den geschichtsträchtigen Raum in einen Theaterort zu verwandeln, war jedoch nicht ganz einfach. "Im Vorfeld war sehr viel Abstimmung mit dem Kulturservice und dem Denkmalschutz nötig", sagt Dan Pelleg. Sowohl den fantastischen Raum galt es vor temperamentvollen Bewegungen zu schützen, als auch das Verletzungsrisiko für die Tänzer zu minimieren.
"Manches, was wir uns vorgestellt hatten, konnten wir zwar nicht umsetzen", sagt Marko E. Weigert. "Andererseits inspirierte uns der Raum zu neuen Ideen." So wirken die ins große Rund der Kuppel projizierten Video- und Lichteffekte wesentlich eindrucksvoller als auf flacher Leinwand. Und auch dass die Zuschauer von rundum auf das Geschehen in der Mitte schauen und jeder eine eigene Perspektive hat, ist sonst selten umsetzbar. Weil nur 150 Zuschauer in einer Vorstellung Platz haben, sind noch sechs Termine angesetzt, zunächst am 4./5. Februar, 19.30/19 Uhr.
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