Görlitzer Tanztheater begeistert mit Miniaturstücken am grünen Neißeufer

Die Insel hinter der Obermühle ist ein selten bespielter Ort, den es zu entdecken lohnt. Zum Beispiel bei der neuen Inszenierung der Tanzcompany.

Mehrere Görlitzer Tänzer des Görlitzer Theaters haben eigene Choreografien erdacht. Zwölf ihrer Miniaturen sind in "Choris Voces" an der Obermühle zu sehen.
Ines Eifler
17.07.2023
[QUELLE]

Görlitz. Eine junge Frau liest verträumt in einem Buch und raucht eine Zigarette, während Brentanos "Der Spinnerin Nachtlied" in Bewegung gerät, Gestalt annimmt und schließlich ihren Platz auf dem Sessel einnimmt. Die Worte des romantischen Gedichts sind dabei in sphärische Klänge von Arvo Pärt gehüllt.

Erdacht hat die kleine Szene der chinesische Tänzer Jun Wang mit einer Choreografie voller ungewohnter Elemente, wie sie im Görlitzer Tanztheater noch nicht oft zu sehen waren.

Das trifft auf die meisten der insgesamt zwölf Miniaturen zu, die der Tanzabend "Choris Voces" vereint, uraufgeführt am 14. Juli auf der Insel hinter der Obermühle direkt an der Neiße. Denn die Choreografien tragen diesmal die individuellen Handschriften der Tänzerinnen und Tänzer.

Tänzer kreieren eigene Stücke

Teils tanzen sie ihre Stücke selbst wie Elise de Heer, bekannt als männliche Puppe in "Momo", die zusammen mit Cesare Di Laghi ein humorvoll-nachdenkliches Stück über Illusionen, Konflikte und Rollenzuschreibungen in Beziehungen tanzt. Oder Eefje van den Bergen, die nicht nur Brentanos Gedicht in Jun Wangs Stück in faszinierender Weise Gestalt verleiht. Zusammen mit Jacob Borchert Vahlun bringt sie auch eine eigene Geschichte zu modernen, teilweise orientalisch klingenden Adaptionen von Liedern aus Schuberts "Winterreise" auf die Bühne.

Die Musik, nach der die Tänzer sich bewegen, ist in fast allen Fällen deutschsprachig, was gemäß dem Spielzeitmotto "Deutschland, Deutschland" Vorgabe war, aber für die jungen Choreografen eine Herausforderung gewesen sein muss. Die Mitglieder der Company kommen aus fast zehn verschiedenen Ländern, die meisten sind unter oder um die Dreißig und wohl keiner von ihnen wird am liebsten deutsche Vokalmusik hören.

Doch diese Begegnung von häufig etwas älterer Musik mit Tanz führt zu kleinen Meisterwerken voller Fantasie, die mal poetisch-nachdenklich daherkommen, pure Lebensfreude versprühen, komisch-skurrile Geschichten erzählen oder überraschend originell Alltägliches von Zähneputzen bis Zahnweh verarbeiten. Immer aber haben sie eine eigene Sprache und offenbaren, in welcher künstlerischen Vielfalt Tanztheater möglich ist.

Pas de deux in Lack und Unterhosen

So verwandeln sich die Tänzerinnen und Tänzer in liebende und streitende Paare und zu Teams voller Geben und Nehmen. In Figuren mit Lampenkugeln auf den Köpfen, die zu Musik der Comedian Harmonists ein "Perpetuum Mobile" erschaffen, zu Männern, die ein Pas de deux in Lack und Unterhosen tanzen. Oder zu flüchtigen Tagträumen, die unserer Leben füllen und doch nur für kurze Zeit Bestand haben. Und alle miteinander zeigen, wie wandlungsfähig, großartig, aber auch verletzlich und verloren der Mensch ist.

Mauersegler und Fledermäuse fliegen mit

Beim Premierenpublikum kommen sowohl die stilleren als auch die scherzhaften Miniaturen gut an: vom Start angefangen, den der Jugendtanzclub des Theaters gestaltet, geleitet von der Tänzerin und "Choris Voces"-Choreografin Gilda De Vecchis, bis zum letzten Stück voller Ideen, Farben und Lichter.

Die Musik ruft Erinnerungen an lange nicht Gehörtes wach, ob Volkslieder wie "Die Gedanken sind frei" oder Songs von Hermann an Veen in seltenen Konzertaufnahmen. Die Schönheit vieler deutschsprachiger Kompositionen, ob von Schubert, Schumann, Mahler oder Reger – häufig anders als im Original – wird in der Verbindung mit getanzten Erzählungen oft noch klarer als beim reinen Zuhören.

Und auch die Natur rundum sorgt für eine vielschichtige Wahrnehmung an diesem Abend, wenn Entenpaare über die Neiße fliegen, die letzten Mauersegler kreischend durch die Lüfte zischen oder Fledermäuse zwischen Bühne und Publikum flattern.

Weitere Vorstellungen am 19., 20. und 21. Juli, jeweils 20 Uhr in der Obermühle. Karten: 03581 474747, service@g-h-t.de