Tanztheater spricht über Unsagbares
Die Görlitzer Company macht zum Thema, was viele Zuschauer bewegt.
Sächsische Zeitung
15.06.2019
Ines Eifler
Über Tanztheater zu sprechen, von den Bewegungen auf der Bühne, den Eindrücken und Assoziationen zu erzählen ist nie ganz einfach. Das macht das Tanzensemble des Gerhart-Hauptmann-Theaters in seiner jüngsten Produktion, die heute letztmalig im Großen Saal zu sehen ist, direkt zum Thema. »Wovon man nicht sprechen kann« ist der Titel. Das Programmheft beginnt mit einem Satz der berühmten Tänzerin und Choreografin Isadora Duncan: »Könnte ich Ihnen sagen, was es bedeutet, dann bestünde kein Anlass, es zu tanzen.« Wie schon die vorherige Inszenierung »Wunderland« ist auch das aktuelle Tanzstück voller Farben und wunderschöner Klänge, zu denen sich die Tänzer in aller Anmut und allem Ausdruck, der Körpern möglich ist, bewegen. Musikalisch spannen Dan Pelleg und Marko E. Weigert den Bogen von Mignons Lied »Kennst Du das Land« über Walzer, Jazzpiano und arabischen Pop bis zu dem NDW-Kultsong »Da Da Da«. Häufig sorgen Naturgeräusche wie Vogelstimmen, Dschungelklänge, Wasserplätschern für besondere Stimmungen.
Und eine weitere Sinnesebene haben die beiden Choreografen diesmal einbezogen: Der Duft von Zitronen und später von Kaffee zieht durch die Zuschauerreihen, als ein Zitronenbaum, dessen Früchte und in einer späteren Szene ein gedeckter Kaffeetisch zu sehen sind. Die Anziehung zweier Menschen und die damit häufig einhergehenden Irritationen sind das eine, »wovon man nicht sprechen kann«. Der Verlust eines Menschen, die Angst davor und die damit verbundene Trauer sind das andere. Das Stück erzählt parallel von diesen Beziehungen zweier Paare: eins am Anfang, in der Annäherung, das andere nach einer womöglich gewaltsamen Trennung, deutlich durch die Suche nach »Felix«, den die Tänzerin Naomi Gibson immer wieder angstvoll ruft. Die Entfaltung dieser beiden Beziehungen ist der rote Faden und der Anker für alle, die nach einer Handlung suchen. Dazwischen gibt es immer wieder poetische, leidenschaftliche und eigenwillige Passagen über Dinge, von denen man ebenfalls »nicht sprechen kann«. Dazu gehört das traurig-verzweifelte Spiel des Tänzers Joan Ferré Gómez mit einer schwarzen Feder wie als Anklang an Schwanensees düstere Seite. Es gibt die Lust am Zerfleischen, am Verlust von Kontrolle und Selbstbeherrschung, als Zitronen, die anfangs zarten Duft verströmten, mit den Zähnen geschält, zerquetscht und hemmungslos verspeist werden. Amit Abend und der Tänzer Seung-Hwan Lee tanzen ein eindrucksvolles Stück, in dem sie sich in Marionetten zu verwandeln scheinen, gelenkte Wesen mit schmelzenden Knochen. Auch die Soli von Nora Hageneier oder Rafail Boumpoucheropoulos, dessen Figur in einer bedrückenden Choreografie von Gewalt und Grenzen durch Mauern und Steine erzählt, sind sehr berührende Episoden.
In drei Filmsequenzen sprechen Marko E. Weigert, Nora Hageneier und Naomi Gibson davon, wie viel man in der Theorie über Essen, Musik oder Tanz zwar lernen kann, wie wenig davon aber nötig ist, um diese Dinge genießen zu können. Zum Sprechen lädt das Tanzensemble seit dieser Spielzeit auch das Publikum ein. Nicht nach den Premieren, da sei die Erschöpfung nach der Anspannung zu groß, aber nach allen anderen Vorstellungen. Ist der Applaus verklungen, können die Zuschauer im Saal bleiben, bis die Tänzer auf die Bühne zurückkehren, und Fragen stellen. Häufig fragen Zuschauer nach Erklärungen zur Handlung. Und die Antworten des Ensembles eröffnen immer wieder den großen Freiraum, dass sich jeder seine eigenen Gedanken machen und seinen Empfindungen und Assoziationen vertrauen könne.